Einführungsrede zur Eröffnung der Ausstellung
„Arbeit Liebe Kino eine Installation von Michaela Schweiger“
im Friedrichsbau Bühl am 15. Oktober 2004
Von Bernd Kuenzig



Die Beziehung der Kunst zum Kino hat nicht erst in den vergangenen zehn Jahren mit dem Aufkommen und der Verbreitung von Video und filmischen Installationen begonnen, sondern lediglich in derem verstärkten Auftreten im Ausstellungskontext Höhepunkt und Zuspitzung erfahren. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die weit zurück liegende Kooperation zwischen Künstlern der surrealistischen Bewegung der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wie Max Ernst und Salvador Dali und Filmemachern einer einerseits experimentellen Richtung wie Luis Bunuel, René Clair oder Hans Richter oder andererseits mit einem Regisseur des kommerziellen Kinos wie Alfred Hitchcock, letztere eine Zusammenarbeit, die sich in der Traumsequenz von „Spellbound – Ich kämpfe um dich“ mit Ingrid Bergman und Gregory Peck niedergeschlagen hat, die von Salvador Dali gestaltet wurde. Auch das experimentelle deutsche Kino der zwanziger Jahre, Filme wie Walter Ruttmanns „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ oder Billy Wilders und Fred Zinnemans „Menschen am Sonntag“ entstanden im engen Zusammenhang zum bildnerischen Denken, wie es im Kontext der damaligen Avantgarde-Kunst entwickelt wurde. Der russische Revolutionsregisseur Sergej Eisenstein ließ sich in seinem gesamten filmischen Oeuvre hingegen von Bildentwürfen der Kunstgeschichte anregen. Ein eher der Postmoderne der achtziger und neunziger Jahre zuzurechnender Regisseur wie Peter Greenaway greift nicht nur auf derartige kunstgeschichtliche Bildentwürfe zurück, sondern macht sie gar zum Thema seines filmischen Werkes und dehnt dieses mit Gemälden, Zeichnungen und großangelegten Installationen im Stadtraum aus. In diesem Sinne sind die Grenzen fließend geworden.

War der Maler Francis Bacon noch eher eine Ausnahme, als er sich mit mehreren großformatigen Gemälden mit einem entscheidenden Standbild aus Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ malerisch auseinandersetzte, so gehört die Sprache, Ästhetik und Erfahrung des Films und des Kinobesuchs zu den Formen der Auseinandersetzung, mit denen sich Künstler im Ausstellungskontext in den letzten zehn, zwanzig Jahren verstärkt beschäftigen. Die Leiterin der zehnten Documenta von 1997, Catherine David, erklärte nicht zuletzt Jean-Luc Godards fünfteilige „Histoire(s) du cinema / Geschichte(n) des Kinos“ zu einem der entscheidenden Kunstwerke der ausgehenden neunziger Jahre, das in einem gesamtkunstwerksnahen Ansatz Literatur, Kunst, Musik und Film zusammenzudenken suchte und im kommerzialisierten Kinobetrieb nur schwer zu vermitteln war und präsentierte das Werk in enger Verbindung mit einer gläsernen Rauminstallation des Künstlers Dan Graham im Kassler Fridericanum. Jenseits der Verwertung durch das eher intimere Medium des Fernsehens, zumindest was die Rezeptionsebene betrifft, erschien auch Catherine David zum damaligen Zeitpunkt der Ausstellungskontext als geeigneterer Zusammenhang, um die künstlerische und ästhetische Bedeutung einer derartigen filmisch-künstlerischen Auseinandersetzung zu begreifen.

Seitdem geben sich auch im Ausstellungskontext die Grenzen fließend und künstlerische Positionen greifen nicht nur verstärkt mit Videoinstallationen auf differenzierte Raumerfahrungen, sondern auch auf das große Kinoformat im erzählerischen Zusammenhang zurück. So gehört auch Michaela Schweiger zu dieser neuen Künstlergeneration, für die die Grenzen längst eingerissen sind. Was sich symbolisch mit dem Jahr 1989 als Mauersturz sehen lässt, formt auch die ästhetischen Erfahrungen dieser Generation, die diesen historisch-politischen Einschnitt als prägend erfahren hat. Dabei wird auch das Werk von Michaela Schweiger nicht allein von filmischen Positionen bestimmt, sondern auch von subtilen Zeichnungen, die mit Text arbeiten und wiederum in installative Formen und filmische Umsetzungen eingeflossen sind. Hinzu kommt die Auseinandersetzung mit der Architektur des deutschen Ostens als Mitgründerin der Künstlerinnengruppe „Stadt im Regal“,die sich in dem Projekt „ Superumbau“ mit der nicht unproblematischen Abwicklung der Architektur der DDR auseinandersetzte.
So geht nun auch die neue Videoarbeit „Besuch bei Themroc“, die Michaela Schweiger hier in einem auf den Ausstellungsraum reagierenden installativen Rahmen präsentiert und eine Form der Kinoerfahrung und des Umgangs mit einfachen Baustoffen zusammenbindet, auf das Projekt „Superumbau“ in Hoyerswerda zurück, bei dem neben Theatermachern, Musikern und Schriftstellern auch die Künstlerinnen im vergangenen Jahr beteiligt waren. Einiges ließe sich dabei auch über die Konstruktionen des Hinterbaus der Projektionswände sagen, über ihren architektonischen Gestus, ihre Rasterstrukturen von rhythmischer Klarheit und ihre skulpturale Haltung, mit der aus der Funktionalität einer Stützkonstruktion ein eigensprachlicher Raumkörper geformt wird.

Konfrontiert mit der extrem hohen Arbeitslosigkeit in Hoyerswerda, der verstärkten Abwanderung ganzer Bevölkerungsschichten, der Entleerung und dem drohenden Abriss enormer Plattenbaukomplexe und deren Auswirkungen auf die persönliche Lebensgestaltung dieser freigesetzten Arbeitskräfte, die nun über so viel Freizeit verfügen, wie sie Gewerkschaftler sich einst für ihre Klientel erwünschten, ohne aber am Freizeitkonsum teilhaben zu können, entwickelte Michaela Schweiger mit „Besuch bei Themroc“ ein ironisch-melancholisches filmisches Szenario, das auf einer der beiden Projektionswände zu sehen ist. Darin konfrontiert sie diese vorgefundene existentielle Situation mit der 1973 von Claude Faraldo gedrehten anarchistischen Filmfantasie „Themroc“. Im Gegensatz zur gegenwärtigen Situation des deutschen Ostens mit einer massiven Unterbeschäftigung und dem Mangel an Arbeit, zeigt Faraldos „Themroc“ das furchterregende Zuviel an Arbeit, das die Fabrikarbeiter zu stupiden Arbeitssklaven mutieren lässt, denen eine sinnstiftende Sprache abhanden gekommen ist. Sprache verharrt in diesem Film im Zustand geräuschartiger Laute oder eines uverständlich sprachgemischten Kauderwelschs, das nicht zuletzt auch an den sanfteren Humors des französischen Filmkomikers Jacques Tati erinnert, der sich in den sechziger Jahren gleichfalls humoristisch zu den Problematisierungen und Mechanisierungen der modernen Stadt in Filmen wie „Mon oncle / Mein Onkel“ oder „Playtime“ geäußert hatte. In „Themroc“ hingegen revoltiert der von Michel Piccoli dargestellte Arbeiter gegen diese monotonen Ausbeutungsverhältnisse und bricht aus, in dem er seine Wohnungstür vernagelt, ein großes Loch wie in einer Installation von Gordon Matta Clark in die Außenwand reißt, sich des bürgerlichen Mobiliars entledigt und ein ungehemmt hedonistisches Leben genießt. Was die Nachbarn zunächst schockiert, greift als große Solidaritätsanarchie um sich, dem auch die geballte Staatsmacht von Polizei und Militär nicht mehr beikommt. Begeistert berauscht sich Themroc noch an den in seine Wohnhöhle geschossenen Tränengasgranaten.

Ausgewählte, kurze Bruchstücke aus Faraldos surrealistischer Anarchokomödie montiert Michaela Schweiger in ihren in Hoyerswerda gedrehten Kurzfilm vom nicht weniger alptraumhaften, zumindest lähmenden Leben eines freigesetzten Arbeiters, der gerne dort hin möchte, von wo der Arbeiter Themroc flieht: in die Fabrik. In Faraldos Film eilen die Arbeiter zur Stechuhr, in die Umkleidekabine, wo sich die Gruppen in merkwürdigen Grunz- und Brabbellauten einen agressiven Streit liefern, um dann zur Arbeit zu gehen. Wir sehen dies Eilen zur Stechuhr und in Michela Schweigers raffinierter Montage den Arbeitslosen, der irritiert beobachtet wie die mit Freizeitutensilien ausgestatteten Menschen durch das Fabriktor schreiten. Wo Faraldo surrealistische Bilder des Zuviel an Arbeit erfindet, entwickelt Michaela Schweiger nicht weniger eindrückliche Bilder des Zuwenig: ein Bus fährt an einer Haltestelle vor, die Passagiere entsteigen dem Fahrzeug und warten an der Haltestelle – und dieses Warten, mitsamt dem Starren in die Leere ist die einzige „Tätigkeit“ die diesen Freigesetzten noch übrig bleibt. Leerlaufender Stillstand einer sinnlosen Untätigkeit als neue Dimension einer Sinnfindung des Daseins: am Ende von „Besuch bei Themroc“ tritt einer der an der Bushaltestelle Wartenden aus der Reihe und verkündet „Schluß für heute“, einer der wenigen Sätze, der überhaupt gesprochen wird. Mit Faraldos Film teilt „Besuch bei Themroc“ die Sprachlosigkeit, allein die Bilder sind sprechend in einer deutlichen Sprache der Montage. Scheinbar Unzusammengehörendes wird wie in der von Sergej Eisenstein in den zwanziger Jahren begründeten Theorie einer „Montage der Attraktionen“ zusammengebunden und konstituiert darin eine emotionale Grundstimmung, die, wie es sich für ein großes Kinoerlebnis gehört, auf den Betrachter überzuspringen vermag.

Auf dem Höhepunkt wird die subtile Sprache der Montage deutlich: Michel Piccoli als Themroc schleudert den mechanischen Wecker, Foltersignal seines morgendlichen Arbeitszwanges, aus dem Höhlenloch durch das gegenüberliegende Fenster. In der Schnittmontage von „Besuch bei Themroc“ verwandelt sich der mechanische Wecker in einen elektronischen und beginnt neben dem schlafenden Freigesetzten zu piepen. In beiden Fällen ist der Wecker sinnlos geworden – im Falle Themroc durch eine freie Entscheidung zur Anarchie, im Falle des anonymen Freigesetzten in „Besuch bei Themroc“ durch eine ihm aufgenötigte Un-Ordnung, die ihn damit konfrontiert, dass für ihn in einem durch Mechanik oder Elektronik geregelten und gesteuerten Leben kein Sinn mehr zu liegen scheint. Die stillen, monumentalen Fassaden der Plattenbauten antworten darauf als optisches Fragezeichen.

Diesem raffinierten Spiel zwischen realer Sozialerfahrung, filmischem Zitat und subtiler Montage der Attraktionen gesellt Michaela Schweiger mit „It never was you“ eine zweite Videoarbeit von Sandeep Mehta in ihrem installativen Arrangement hinzu. Im Stil eines Videoclips mit eigens dafür komponierter Musik erzählt der kurze Film von der Liebe in der Stadt, den Sehnsüchten und den Unmöglichkeiten. Wo in Michaela Schweigers „Besuch bei Themroc“ Stillstand und eher Langsamkeit herrscht, wird „It never was you“ von der Beschleunigung des Stop-Motion-Verfahrens geprägt, bei dem Zeit gerafft wird: Was sich in einer Nacht ereignet, ist in wenigen Minuten erzählt. Dennoch entwickelt sich daraus eine lyrische Sensibilität, die Bildentwürfe hervorzurufen in der Lage ist, die Edward Hoppers legendäres Gemälde „Nighthawks“ mit den durch die Glasscheibe sichtbar werdenden vereinsamt an der Bar Wartenden als Bildeindruck heraufbeschwört. Im kleinen Format, entfaltet Sandeep Mehtas Film dennoch die großen Gefühle des Kinomelodrams, nicht zuletzt durch die Brillanz, der im 16mm-Format gedrehten Bilder.

1953 entstand der sogenannte Omnibusfilm „Amore in città / Liebe in der Stadt“, bei dem die Regisseure Fedrico Fellini, Michelangelo Antonioni, Carlo Lizzani, Dino Risi, Francesco Maselli und Cesare Zavattini kleine filmische Erzählungen und Variationen dieses Themas lieferten. Sandeep Mehtas Film könnte ein weiterer Beitrag im Abstand von fünfzig Jahren und der stilistischen Erweiterungen sein, die durch Musiksender wie MTV und VIVA längst Einzug in die filmische Sprache gehalten haben. Die in den fünfziger und sechziger Jahren beliebten „Omnibusfilme“ – manchmal begegnen uns auch heute noch derartige seltene Kino-Projekte – nahmen im Huckepackverfahren mehrere unterschiedliche Regisseure mit allen stilistischen Differenzen auf eine gemeinsame Reise mit. In einem ähnlichen Sinne hat Michaela Schweiger nun Sandeep Mehtas „It never was you“ im Huckepack in ihr installatives Arrangement als Gaststern einbezogen, der ebenfalls einen aktuellen Stadtfilm gedreht hat, jedoch unter völlig anderen und ergänzenden Vorzeichen. Im Vergleich zu „Besuch bei Themroc“, der ein Tagfilm ist – nicht grundlos handelt er vom Aufwachen und der täglichen Sinnfindung im Entfremdeten – ist „It never was you“ ein Nachtfilm, möglicherweise auch ein tröstlicher Ausgleich zu jenem Verlust von Utopie, der sich in „Besuch bei Themroc“ ereignet, gerade weil er auf den Gegensatz zwischen einer Realität und jener Anarchoutopie der Zitate aus Faraldos „Themroc“ setzt.

Auf exakt diese Gegensätze und Bruchstellen, wie dies alles zusammengeht oder nicht, die Offenlegung und nicht Verkleisterung dieser Brüche in der Montage in Worten, Bildern und Tönen, die hier auch im Sinne des Raum-Zeit-Gedanken des Films auf zwei gleichzeitige aber räumlich getrennte Projektionen setzt, wie sie eben nur im Ausstellungskontext und nicht im Kinozusammenhang bislang denkbar ist- auf diese Brüche setzt nicht zuletzt auch der intellektuelle Altmeister und skeptische Denker des Kinos Jean-Luc Godard, dem schließlich auch der Titel dieser Kino-Installation Michaela Schweigers mit einer gleichlautenden Buchpublikation des französischen Regisseurs durchaus würdevoll entlehnt wurde: Arbeit Liebe Kino. Film, Kino und Kunst als radikale Sichtbarmachung, deren gleichzeitige Emphase und Skepsis nicht nur ästhetische, sondern auch politische Anrede an den Betrachter sein will.