Zurück in die Stadt von morgen



Die Arbeit besteht aus einer Installation, die sich über zwei Hauptelemente konstituiert: einen Film so wie ein Architekturmodell, welches auf die Fassade eines Scheibenhochhauses verweist. Dieses zur Kulisse gewordene Fassadenfragment dient als Projektionsfläche für den Film, definiert aber gleichermaßen auch das (innen-) architektonische Dispositiv des Ausstellungsraums.

Ausgangspunkt für den Film und den räumlichen Architekturverweis der Installation bildet das Hansaviertel in Berlin, welches 1957 als eine Art von modernem, architektonischem und städtebaulichem Modellversuch durch internationale Architekten gebaut wurde. Ermöglicht wurde die Realisierung einer als „Stadt von Morgen“ begriffenen innerstädtischen Bebauung dadurch, dass im Berliner Stadtviertel Tiergarten maßgebliche Teile der „alten Stadt“, also der städtischen Struktur des 19. Jahrhunderts, im zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Der Wiederaufbau des Viertels wurde daher nicht nur als Chance für neue Formen der Architektur und Stadtplanung begriffen, sondern vor allem auch als Möglichkeit, eine gesellschaftliche Utopie analog zu einem spezifischen ästhetischen Rahmen anzulegen. Im Rekurs auf die Moderneentwürfe der 20er Jahre, die – für die damalige Zeit – relativ luxuriöse Wohnstandards für alle sozialen Schichten anvisierte, wurde in den 50er Jahren für eine Gesellschaft der Zukunft geplant. Abseits der Vorstellung (bildungs-)egalitärer Gesellschaftsprinzipien haben sich ebenso damals moderne Ideen von Mobilität, Geschlechterrollen etc. in die Idealplanung jener neuen Stadtkonzeptionen eingeschrieben. Allerdings fokussiert die Nachkriegsmoderne, anders als die Ideen der 20er Jahre, auf die Mittelschicht, die als zukünftige dominierende soziale Klasse imaginiert wurde.

In Michaela Schweigers Film „Zurück in die Stadt von Morgen“, führen unterschiedliche Personen in minimalistischen, fragmentierten Geschichten durch das Hansaviertel. Die Frage nach der Veränderung der Gesellschaft seit dem Bau des Hansaviertels wird in jeder der dicht inszenierten und zugleich erzählerisch offenen kleinen Episoden des Films neu gestellt. Die verschiedenen Figuren, die dort auftreten, sind Stellvertreter für verschiedene Theorien und Zeiten, verkörpern aber auch die Bewohner des Viertels selbst.

Signifikant für Michaela Schweigers filmischen Umgang mit dem Themenkomplex ist die spezifische Übernahme der urbanistischen Prinzipien in die Entwicklung der Erzählung und in das Regiekonzept. Konkret schlägt sich dieser Transfer in der Fragmentierung des Blickes – und somit der filmischen Bilder und der Narration – sowie in der Bewegung (der Kamera) als Idee von Moderne im Sinne einer vernetzten, mobilen Gesellschaft nieder. Die gesamte Inszenierung des Erzählten zielt nicht auf Authentizität ab, sondern legt – in Anlehnung an Strategien des epischen Theaters – die Eingriffe der Regie und deren Reflexionsansatz offen. Immer wieder werden die Dächer der Häuser als Kamerastandpunkt gewählt, so nimmt die Kamera und damit auch der Betrachter, einen distanzierten, eher observierenden Blick ein, den Blick der Planer, die auf ihre Protagonisten schauen.

Das auf dokumentarische Fakten und Theorierecherche beruhende Drehbuch wurde mit Schauspielern verfilmt, wobei die dokumentarischen und fiktionalen Anteile des Films bewusst vermischt wurden. Dabei sind Zustandsbeschreibungen, Rückblicke auf Utopien der Architekten und Ausblicke auf zukünftige Lebensperspektiven miteinander verwoben. In der Kulisse von Bauten bekannter Architekten verdichten sich Umrisse großer, gesellschaftspolitischer Utopien, Verweise auf zeitgeschichtliche Ereignisse und alltägliche Geschichten zu einem Portrait des Viertels und verweisen auf die vor 50 Jahren imaginierte Zukunft. Einige Episoden des Films greifen die heutige Entwicklung des Gesellschaftsbegriffes in Bezug auf neoliberale Tendenzen auf. Im Mittelpunkt steht hier der Begriff der „Gouvernementalität“ und somit die Ökonomisierung des Sozialen. Mit dieser Tendenz ist der Wandel einer durchmischten Gesellschaft in eine Aufsplitterung in unterschiedliche Interessensgemeinschaften eng verknüpft.

Auszüge aus Ulrike Kremeiers Ankündigungstext von „Zurück in die Stadt von Morgen“, plattform, Berlin 2006